Mittwoch, 13. Oktober 2010

Der Schulung zweiter Teil

Hier kommt der etwas verspätete Eintrag zum vorletzten Wochenende. Ich befand mich beim zweiten Teil der Schulung für gehörlose Kollegen von der ich schon berichtet hatte. Es war auch dieses Mal wieder sehr interessant und sehr schön. Einige vom letzten Mal waren wieder mit dabei, aber es gab auch welche, die den ersten Teil nicht mitgemacht hatten.

Die Neuen waren über die damaligen und auch heutigen Verhältnisse an den Gehörlosenschulen ebenso geschockt, wie wir beim letzten Mal. Sie hätten doch zumindest erwartet, dass die jetztigen Gehörlosenlehrer Gebärdensprache können würden, was aber leider immer noch eine Ausnahme ist. Die Kursleiterin (sie ist gehörlos) erzählte, dass sie an einer der Schulen über Berufsaussichten und andere Dinge berichten und aufklären wollte. Man lehnte sie ab. "Sie wollen das doch nicht etwa in Gebärdensprache erzählen? Dann würden sie die den Kindern ja beibringen!" Der Rektor gehörte noch zu den Anhängern der früheren Methoden. Gebärden gehören verboten, weil die Kinder dann das laute Sprechen vernachlässigen würden. Keinen Kommentar.

An einem Abend haben wir zum Ausklang den Film "Verbotene Sprache" geschaut. Er ist extrem provokativ aber sehr gut. Es ist mehr ein Interview oder Bericht, als ein normaler Spielfilm. Ein Mann erzählt von seinem Leben als Gehörloser, wie er Aufwuchs, welche Probleme es mit seiner Mutter gab usw. Er ist Poet und tritt mit seiner Freundin bei Deaf Slams auf, also Poetry Slams für Gehörlose. Seine Gedichte sind heftig. Er bedient sich der Bilder aus der NS-Zeit, lässt die Hörenden abtransportieren und die Trommelfelle zerschießen. Aber auch an den Gehörlosen lässt er kein gutes Haar, beschimpft sie, weil sie sich klein machen, sich alles gefallen lassen. Er hat mit seinen Gedichten seine Wut und Hilflosigkeit zum Ausdruck gebracht und seinen eigenen Selbstmord abgewendet, vor dem er eine zeit lang stand. Vorgeschlagen hatte den Film die gehörlose Kursleiterin und meinte, dass der Film zum Teil in Gebärdensprache ist aber zusätzlich eigentlich immer mit Untertiteln versehen wurde. Das war ein Glück für die Hörenden, denn die Sprache hat uns nicht das Geringste genutzt. Es war ein Schweizer Film und wir verstanden kaum ein Wort. Aber das konnte sie natürlich nicht wissen. Sie fand es sehr lustig, als wir ihr erklärten, warum alle Hörenden so komisch guckten.

Am Freitag Abend gab es eine kleine Gruppenarbeit, bei der man sich mit den Kollegen zusammen setzen sollte. Die beiden Dolmetscherinnen gingen dabei reihum und halfen hier und da. Als die eine bei uns war und ich dann etwas sagte, schaute sie mich ganz entgeistert an. Sie dachte, ich wäre auch gehörlos. Äh, nee. Im laufe des Wochenendes wurde mir aber immer wieder bestätigt, dass ich auch ohne Gebärdensprachekenntnisse die Gehörlosen recht gut verstehe, ein sehr klares Mundbild (die Gebärdensprache setzt sich aus Gebärden und dem Formen von Lauten mit dem Mund zusammen) habe, Gebärden sehr gut nachmachen und schnell verstehen kann und witzig sei, wie ein Gehörloser meinte. Ich hatte mich mit einer der Dolmetscherinnen über das Studium in Hamburg informiert und seid dem liegt mir meine Kollegin in den Ohren, ich sollte doch Gebärdensprache studieren. Na mal schauen.

An einem Tag war ein Rollenspiel dran, das ich sehr interessant fand. Ein Hörender spielte einen Gehörlosen (er bekam Ohropax und Kopfhörer), ein Gehörloser spielte den Chef und dann gab es noch einen Mitarbeiter und jemanden vom Integrationsamt. Gespielt wurde ein Konflikt im Büro. Was alle "gehörlosen" Hörenden berichteten war, dass sie eine Anspannung und aufsteigende Aggressivität in sich spürten, obwohl sie wussten, was in dem Spiel passiert und wie die Szene aus gehen würde. Aber die Tatsache, dass sie von den Unterhaltungen zwischen dem Chef und dem Mitarbeiter oder auch dem Chef und dem Integrationsamtsmenschen nichts mitbekamen, machte sie wahnsinnig und wütend.  Viele konnten die Hilflosigkeit eines Gehörlosen in der hörenden Welt danach deutlich besser nachvollziehen. Man muss nur ein Mal mit einer Truppe Gehörloser die Pause verbracht haben, und man kann verstehen wie es ist, wenn man unter Menschen ist, aber keiner Unterhaltung folgen kann, nicht weiß, worüber sie reden, nicht weiß, ob sie über einen selbst reden. Das ist unglaublich frustrierend und man schaltet einfach irgendwann ab.

Sehr interessant fand ich auch einige der Links, die uns gegeben wurden:

Bei Fakoo kann man das Fingeralphabet üben. Wenn man auf "Start" klickt, wird ein Wort per Fingeralphabet gezeigt und man schreibt es dann auf. Wie schnell das Ganze geht, kann man auch einstellen. Aber nur keinen Frust. Die schnellste Stufe konnte selbst von den Gehörlosen nur einer verstehen.

Bei Spreadthesign kann man in vielen Sprachen Gebärden abfragen, die einem dann in einer kleinen Videosequenz gezeigt werden. So kann man sich selbst die ein oder andere Gebärde beibringen. Außerdem ist es interessant zu sehen, wie eine Gebärde von Sprache zu Sprache variiert.

Procom finde ich sehr genial. Es ist (u.a.) ein Telefonservice. Man gibt an, wen man anrufen möchte. Das tut dann ein Mitarbeiter und liest vor, was man selber geschrieben hat, bzw. schreibt einem die Antwort des Angerufenen auf. Lustig dabei ist, dass sie in der Schweiz sitzen und natürlich einen süßen Dialekt haben. Da es sich um ein Projekt handelt, ist der Dienst noch kostenlos. In Deutschland gibt es Tess. Diese sind jedoch im Gegensatz zu Procom nicht 24 Stunden erreichbar, man muss angemeldet sein und es kostet.

Eine sehr schöne allgemeine Seite für Gehörlose ist Vibelle. Hier gibt es sehr viele Informationen über alltägliche Themen, wie Behördengänge, Jobsuche usw. Viele Texte kann man sich auch in Gebärdensprache anschauen, was für Gehörlose mit wenig Leseverständnis sehr hilfreich ist.

Nicht zu vergessen natürlich den Gehörlosenbund.

Folgende Ausstellung in Frankfurt ist sicher auch sehr interessant. Aber ich denke nicht, dass ich dazu komme, sie mir anzusehen.

Und wie schon nach dem letzten Mal war es seltsam, wieder in den hörenden Alltag zurück zu kommen. Die Hörenden wirken im Gegensatz zu vielen Gehörlosen so langweilig. Ich rede ja sowieso meist mit Händen und Füßen, aber unter den Gehörlosen hatte ich das Gefühl, dieses Bedürfnis richtig ausleben zu lassen. Ich kam mir manchmal eher vor wie ein Pantomime oder ein Schauspieler. Selbst diejenigen, die die Gebärdensprache können, spielen vieles, was sie erzählen wollen, einfach nach. Stimmungen werden nicht Gebärdet, sondern einfach vorgemacht. Oft reicht die Mimik völlig aus, um den Anderen zu verstehen. Die Gebärde ist dann nur der Untertitel.

3 Kommentare:

  1. Wow, das klingt wirklich wieder sehr interessant. Und irgendwie hab ich so gar keine Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass dir Gebärdensprache liegt. ;-)

    Das mit der Wut übers Nicht-Verstehen kann ich mir gut vorstellen - wir haben ja einen hohen Anteil Mitarbeiter, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Wenn man mit zwei Türken / Russinnen / Whatever in der Pause sitzt und die unterhalten sich in ihrer Sprache, werd ich auch immer schon kribbelig, aber da hat man wenigstens noch nen Tonfall etc.

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  2. Hier an der VHS wird Gebärdensprache angeboten. Leider hat der Kurs gerade begonnen. Aber für den Nächsten will ich mich anmelden. Ich mag die Sprache, ich finde den Umgang mit Gehörlosen spannend, aber dieses Studium in Hamburg überzeugt mich nicht so. Ist scheinbar sehr Sprachwissenschaftlich orientiert und ich will gar nicht so tief einsteigen. Für mich ist die Gebärdensprache eher Mittel zum Zweck.

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  3. Mir ging es nach dem Film "Jenseits der Stille" so, dass ich unglaublich gestikulierend und ausladend geredet habe ;) Ich glaub, das ist normal.

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