Ich lese gerade den Bericht eines Soldaten, der nach dem 2. Weltkrieg in russische Kriegsgefangenschaft geriet. Er schreibt über den Alltag im Gefangenenlager, die Arbeit, das Essen und die hygienischen Zustände. Wenn ich so etwas lese, wird mir bewusst, wie gut wir leben. Wie wichtig es ist, neben Essen, Schlafen und Gesundheit auch seine Würde zu behalten. Gleichzeitig bewundere ich diese Menschen, wie sie sich aus Nichts, etwas gemacht haben. Wie sie sich trotz dieser Umstände, kleine Freuden gesucht haben. Unterhaltungen mit anderen. Austausch von Wissen. Musik. Theater. Dieser unglaubliche Lebenswille, der sie trotz der Kälte, der Wanzen, der spärlichen Nahrung, der rücksichtslosen Behandlung weiter machen ließ. Immer in der Hoffnung, dass der nächste Transport sie nach Westen bringt und nicht in ein neues Lager. Es ist aber auch interessant zu lesen, wie die Russen sich verhielten, wie sie teilweise Menschlichkeit zeigten und wie einige von ihnen Verbotenes taten, um einem Kriegsgefangenen das Leben dort zu versüßen. Wir haben alles. Wir können uns überlegen, ob wir lieber Nudeln, Reis, Kartoffeln oder Brot zum Essen haben möchten. Wir können etwas ungegessen lassen, weil wir satt sind. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Löffel Bratkartoffeln zum Hochgenuss, ein trockenes Brot mit Zucker bestreut zur Torte und eine dünne Suppe mit rohen Kartoffelhobeln zum Festmahl werden kann, weil ich es nie erlebt habe und hoffentlich auch nie erlebe. Dieser Mann hat eine furchtbare Zeit mit solch einer Stärke und mit so einem unglaublichen Einfallsreichtum gemeistert, dass ich mich gerne vor ihm verneigen würde, sollte er mit seinen 93 Jahren noch leben.
Ja, es ist wirklich unglaublich, was diese Leute (gerade eben im Vergleich zu den Leuten, die heute jünger als ~50 sind) erlebt und ausgehalten haben. Vor allen Dingen auch, wenn man bedenkt, daß das alles nun auch noch nicht sooo lange her ist.
AntwortenLöschenHm, Leute, die den Hungerwinter 46/47 bewußt mitbekommen haben, leben noch zuhauf...
Oder: Jemand, der in ärmlichen Verhältnissen um 1945 auf dem Lande geboren wurde, ist jetzt gerade mal in Rente. Als Kind hat er höchstwahrscheinlich keine Elektrizität und kein fließendes Wasser gehabt (von Radio, gar von Fernsehen nicht zu reden).
Und eines der größten Rätsel ist für mich der Wiederaufbau - nämlich wenn man sich die Fotos aus der Zeit oder meinetwegen auch hier das Modell im Neuen Rathaus anschaut. Man kann da wirklich so ein Gefühl von "Heldenahnen" entwickeln...
Ich habe für eine Diplomarbeit mit 12 solcher Leute gesprochen und Interviews gemacht. Einige waren von ihren Erzählungen sehr aufgewühlt. Ein paar waren auch in Russland im Lager und hatten Überlebensstrategien. In meinem Blog kriegserlebnisse.eu schreibe ich darüber.
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