Ich wurde gebeten, über dieses Buch meine Meinung kund zu
tun und das mache ich hiermit (in epischer Breite). Ich hatte es schon öfter
bei diversen englischsprachigen Youtubern gesehen und wurde immer neugieriger (gibt es aber auch auf Deutsch).
Es ist von einer Japanerin geschrieben und sie erklärt darin ihre spezielle Art
aufzuräumen und weiteres Aufräumen zu verhindern. Mittlerweile ist sie in Japan
aber auch durchaus im Rest der Welt eine Berühmtheit. Sie veranstaltet Vorträge
und man kann sie in Japan als persönlichen Aufräum-Berater buchen. Ihre Kurse
und Privatstunden sind auf Monate ausgebucht.
Bei der gesamten Lektüre sollte man immer im Hinterkopf
haben, dass sie aus Japan kommt. Prioritäten, Ordnungskriterien, Vorstellungen
wie sich eine Frau zu kleiden hat, Spiritualität (ja, sie ist in dem Buch stark vertreten) sind alle von der japanischen Kultur geprägt und für den ein
oder anderen von uns sicher schwer nachvollziehbar.
Tatsächlich macht sie das Ein oder Andere anders, als es
bisherige Aufräumbücher/Anleitungen getan haben, die ich kenne. Ihre Methode
ist sehr schlicht aufgebaut. Schritt 1: Sortiere alles aus, was keine Freude in
dir auslöst. Schritt 2: Räum das Übriggebliebene weg. Klingt ziemlich einfach. Der
größte Teil ihres Buches befasst sich mit Schritt 1. Der 2. Schritt nimmt
weniger Platz ein und ist auch der, den ich eher in Auswahl beachte. Insgesamt
fand ich einige ihrer Tipps sehr gut, andere wiederum finde ich für mich
unpassend oder sogar relativ seltsam. Gerade bei den Tipps zur späteren
Aufbewahrung der Sachen, passt einiges nur zu dem speziellen Aufbau japanischer
Wohnungen und Häuser, und auch zu der Gesellschaft.
Drei Punkte bei ihr finde ich recht irritierend oder nicht für
mich geeignet. Generell empfand ich ihre Aussagen teilweise als etwas
reißerisch. Zu sehr „setze meine Methode um und all deine Probleme lösen sich
in Luft auf“. Ich denke schon, dass ein komplettes Durcharbeiten ihrer Methode
einem extrem viel bringen kann, aber ich bezweifle, dass es bei jedem eine
derart durchschlagende Wirkung hat. Der zweite Punkt ist der Grad an
Spiritualität durch die Sie z.B. Gegenständen vermenschlicht. Ich finde es
völlig in Ordnung, seine Besitztümer zu pflegen und sie gut zu behandeln, damit
sie lange halten. Ich finde es auch gut, dankbar für diese Dinge zu sein und
ihnen Wertschätzung entgegen zu bringen. Aber ich sträube mich eher dagegen,
meiner Handtasche jeden Tag dafür zu danken, dass sie mich begleitet. Auch kann
ich mir nicht so gut vorstellen, dass beim Falten von Kleidung Energie auf
diese übergeht und dafür sorgt, dass sie länger hält. Diese Aspekte ploppen
immer wieder im Buch auf, aber ich finde sie nicht besonders störend, da man es
ja einfach im Geiste abhaken kann, wenn man damit nicht warm wird. Der dritte
Punkt ist, dass sie fast immer vom Wegschmeißen redet. Auch das kann natürlich
kulturell bedingt sein (ich weiß es ehrlich gesagt nicht). Es wird nahezu nie
darauf hingewiesen, Dinge an soziale Einrichtungen zu geben. Aber vielleicht
ist das in Japan nicht üblich. Ich zumindest teile meine Kann-Weg-Haufen immer
in „Müll“ und „spenden/verschenken“. Das erleichtert mir die Entscheidung
ehrlich gesagt um einiges, da ich ein Weggeben der Dinge viel weniger schlimm
finde, als sie in den Müll zu schmeißen.
Wie schon gesagt, nimmt der Teil des Aussortierens mehr
Platz ein, weil er auch schwieriger und wichtiger ist. Sie lässt bei den
Erklärungen viel von ihrer eigenen Lebensgeschichte einfließen, aber auch immer
wieder Berichte über Kunden. (Sie hat schon viele Methoden ausprobiert und es interessant zu erfahren, woran sie letztendlich scheiterten.) Gerade die Art, wie sie an das Ausmisten ran geht,
finde ich sehr motivierend. Zuerst soll man überlegen, wofür man das macht. Man
soll visualisieren, was es einem bringt, wenn man nur von Dingen umgeben ist, die man mag und alles aufgeräumt
ist. Was bewirkt das in einem? Wie anders lebt man dann, als man das vorher
getan hat? Wie will man eigentlich leben? Was soll das Mehr an Ordnung und das
Weniger an Zeug bewirken? Bei mir ist es z.B. ganz klar, dass es in vieler
Hinsicht meine Kreativität fördert. Unordentlichkeit ab einem gewissen Maß
blockiert mich. Ich werde kreativ, wenn ich das Material vor mir sehe. Wenn
aber alles unsortiert und chaotisch ist und ich nicht einmal weiß, was ich
habe, dann fällt mir nix ein. Das fängt bei kreativen Hobbys an, geht über die
Auswahl der Kleidung, die ich anziehen will und endet beim Kochen. In großer
Unordnung bleibt meine Kreativität stecken. Die brauche ich aber zum Leben. Sie
ist mein Motor. Außerdem macht mich große Unordnung und viel „Zeug“ in meinem
Besitz träge, so als ob es mich erdrücken würde oder ich es mit mir
herumschleppen müsste. Das ist also das, was mich zum Aufräumen motiviert. Dazu
kommt natürlich auch noch eine Arbeitsersparnis, durch die ich mich mehr
schönen Dingen widmen kann.
Aber ich schweife ab. Zur Ausmistmethode: Man soll nicht
nach Raum oder Schrank aussortieren, sondern nach Kategorie. Also alle
Klamotten, alle Bücher, alle Schuhe durchgehen. Man trägt alles einer Kategorie
auf einem Haufen auf dem Fußboden zusammen und nimmt jedes einzelne Teil in die
Hand. Wenn eine Kategorie zu groß ist, kann man sie auch noch mal unterteilen
(was ich in den meisten Fälle mache). Wenn man die Sachen in die Hand nimmt,
soll man sich fragen, ob sie in einem Freude auslösen. Ob man z.B. ein
Kleidungsstück sofort anziehen würde, wenn das Wetter es erlaubt. Meist weiß
man tief im Inneren tatsächlich relativ schnell, ob man diesen Gegenstand mag,
oder ob man ihn aus anderen Gründen behält. Wenn man sich sträubt, obwohl einem
der Gegenstand eigentlich keine Freude bereitet, dann soll man sich fragen, was
einen aufhält. Meist ist es eine Verbindung mit der Vergangenheit, der Zukunft
oder beidem. Also der Angst, die Vergangenheit zu verlieren (Geschenk von Oma,
Mutter, Freund; Mitbringsel aus Urlaub XY; Erinnerung an Studium), oder durch
das Wegschmeißen Probleme in der Zukunft zu bekommen („Das könnte ich
nochmal….!!!“). Sie gibt in Bezug auf den Entscheidungsprozess noch etliche
weitere Hinweise, die jetzt hier den Rahmen sprengen würden. Ich hielt das erst alles für etwas schwierig. Mittlerweile habe ich aber schon ein paar
Kategorien durch und muss sagen, dass ich wirklich meistens genau weiß, ob ich
diesen Gegenstand auf jeden Fall behalten will (weil er mir Freude macht) oder
nicht. Allerdings lasse ich doch etwas Vernunft mit einfließen, weil es einfach
Dinge gibt, die man auch ohne dass sie Freude auslösen, einfach behalten muss
oder sollte. Bei einigen Dingen bin ich vielleicht auch noch nicht bereit, mich
davon zu trennen. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass der Punkt irgendwann kommt.
Beim Aussortieren setzt sie sehr auf Emotionen und will,
dass jeder seine eigene Entscheidung darüber trifft, wie viel er wovon wirklich
braucht. Das kann bei jedem unterschiedlich sein. Manchmal gibt es beim Thema
Aussortieren Dinge, bei denen ich ihr widersprechen würde, aber insgesamt
finde ich ihr Vorgehen gut. Z.B. sind ihre Maßstäbe bei der Klamottenauswahl
und der späteren Behandlung der Sachen mir teilweise recht fremd. Mich in Bezug
auf meine Schlafklamotten um „feminine Bekleidung“ zu bemühen, finde ich z.B.
überflüssig. Generell ist es ihr aber wichtig, auch wenn sie von jemandem
gebucht wurde, dass die Person die Entscheidung selbst trifft. Und wenn die kaputte
Uhr Freude auslöst, dann ist das so.
Der Bereich der Aufbewahrung von Dingen ist für mich
schwieriger. Das Grundkonzept finde ich gut, nämlich dass alles einen Platz
haben muss, an den es gehört. Sonst kann man ganz sicher nicht verhindern, dass
es wieder unordentlich wird. Außerdem gefällt mir, dass man gleiche Dinge
möglichst zusammen lagern sollte. Wenn man immer alles lustig über das Haus
verteilt, weiß man nicht, wie viel man von dieser Sache hat. Und es macht das
Wegräumen leichter, weil man genauer weiß, wo es hin kommt. Das würde ich nicht
bei jeder Kategorie so dogmatisch befolgen, aber bei vielen finde ich es
durchaus einleuchtend. Ihre Meinung zum Lagern von Kleidung ist recht speziell.
Ihr könnt ja mal bei YouTube nach KonMari (so nennt sie ihre gesamte Methode) und folding suchen
und euch die Faltanleitungen ansehen. Sie ist der Meinung, dass möglichst viel
gefaltet sein sollte. Außerdem faltet sie recht anders, als ich es kenne. Erst
habe ich ihre Methode belächelt und die Augen verdreht, als sie meinte, dass
man sogar irgendwann mit Begeisterung faltet. Äh, ja. Also ich muss gestehen,
dass es mir tatsächlich mittlerweile ziemlich gut gefällt. Ich werde trotzdem
sehr viel hängen, weil ich das lieber mag, aber ihre Faltmethode hat mich im
Nachhinein etwas süchtig gemacht.
Ihre Art, Papierkram abzulegen, ist allerdings eine
Katastrophe (gut, vielleicht spielt mein Job da auch ein bisschen rein). Wenn
ich mir angucke, was für einen Berg an Versicherungs-, Bank- und sonstige Unterlagen
wir haben, würden wir jedes Mal Stunden brauchen, um da was wieder zu finden.
Sieh geht davon aus, dass man solche Unterlagen zwar hat, aber im Grunde nie benutzt. Ich
denke, dass es in Deutschland einfach etwas anders zugeht, als ich Japan. Ich
zumindest mache ne Steuererklärung, und dafür brauche ich den Mist immer und
immer wieder. Auch die Menge scheint da sehr auseinander zu gehen. Sie spricht
von einem Ordner. Wir haben zusammen etwa 8. Und ich miste regelmäßig aus, was
nicht mehr aufgehoben werden muss.
Zum Schluss des Buches geht sie noch auf die Psychologie
dahinter ein und welche Veränderungen sie bei ihren Kunden bemerkt hat (äußerlich und psychisch). Einiges
davon kann ich mir gut vorstellen, anderes wiederum geht mir zu weit (dass die
Energie eines weggeworfenen Gegenstands in Form eines anderen Gegenstands zu
uns zurück kommt, um uns so Freude zu bereiten z.B.).
Meine Meinung:
Ich bereue den Kauf nicht. Ich finde die Grundidee zwar
wenig überraschend, ihre Herangehensweisen und „Regeln“ aber motivierend und erfrischend
anders. Ich werde umsetzen, was mich anspricht und den Rest
ignorieren. Mal schauen, wie viel ich dann wirklich hin bekomme. Leider
tendiere ich dazu, solche Dinge dann doch wieder ewig hin zu ziehen und die
Lust zu verlieren. Genau darum sagt sie ja, dass man es kompakt halten soll. Im
Moment hat es in mir aber eine Art Ausmistwahn freigesetzt, der mir viel Spaß
macht. Ich hoffe, der hält an, bis ich mit allem durch bin.
Tolle Rezension!
AntwortenLöschenIch werde mir das Buch nicht kaufen - obwohl ich's vielleicht nötig hätte - hab aber auch schon einiges davon gehört. Für mich kann ich so schon Sachen mitnehmen, bspw. die Institutionalisierung an sich, dass man sich Zeit nimmt, sich bewusst macht, wozu etc.
Vor allem den Gedanken "Was mir keine Freude macht, kommt weg" finde ich super. Natürlich nicht in aller Konsequenz machbar - es gibt Dinge, die ich eher täglich anknurren könnte, aber brauche. Aber als Entscheidungshilfe ist der Satz super. Es gibt ja immer Dinge, die einen irgendwie belasten, weil sie rumstehen und immer im Weg sind und man ärgert sich. Und doch bleiben sie ewig, weil man sie geschenkt bekommen hat, vielleicht ja doch noch mal braucht, etc.
Naja, meiner Messi-Seele hilft dann halt doch dieses kurze Innehalten und vor-Augen-Führen. Auch bei bspw. Lebensmitteln. "Ess ich es noch *gern*? Nein, dann weg, auch wenn's noch gut ist."
Also die kleinen Schritte und gelösten Blockaden find ich schon hilfreich.
*/wortschwall*
Na, das klingt aber schon alles eher US-amerikanisch als japanisch, also eher nach Methode und nach Kniff als nach Stil… Eben wie ’nen Ratgeber („Fleischlos schwanger mit Pilates“).
AntwortenLöschenDas Thema interessiert mich freilich sehr, insofern ich selbst gerade dabei bin aufzuräumen und auszumisten. Die ganzen Erinnerungen an die Zeit um 2008, puh…
Aber kann hier überhaupt eine Japanerin Vorbild sein? Mich erinnert das an eine ganz gute FS-Doku von vor ca. zehn Jahren über den Pazifischen Krieg. Da hatten die Autoren die damals noch lebenden letzten Veteranen vor die Kamera gezerrt. Natürlich alles arrivierte Leute, wohlhabende und ehrwürdige Alte, die in ihren Wohnzimmern gesessen haben. Bei den Amis waren das: Fotos, Souveniere, Fähnchen, Memorabilien, geschnitztes Holz – das US-Gegenstück zu dem, was hier früher Gelsenkirchner Barock hieß. Die Typen mit offenem Hemd und Baseball-Ami-Mütze. Bei den den Jappos: Korrekter Dreiteiler. Ein leeres Zimmer, in dem nur eine große Vase gestanden hat, die wiederum leer war. :-)
Es sind einfach andere ästhetische Prinzipien.
Das Buch schaut wirklich interessant aus, danke für den tollen Tipp.Bin mal gespannt bezüglich Spritpreise !Grüße Jenny
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